2025-03-09

Zeiss Ikon Colora F

Kamera Nr. 4 aus dem geschenkten Beutel voller einfacher Kameras ist diese Zeiss Ikon Colora F. Man würde sie auch ohne genauere Kenntnisse richtigerweise in die Mitte der 1960er Jahre verorten. Solche Kleinbild-Sucherkameras mit fest eingebautem Normalobjektiv und Zentralverschluss gab es damals von nahezu jedem Hersteller in verschiedenen Ausstattungsvarianten. Neben Kodak und Agfa hat sich insbesondere hier auch Zeiss Ikon hervorgetan, ein paar ihrer 1960er Kameras habe ich schon vorgestellt: Contessa, Cotessamat SE. Neben der Differenzierung mit hochwertigen Ausstattungsdetails wie Belichtungs- und/oder Entfernungsmessung, die die Kameras teurer machten, kamen damals immer billigere Modellreihen dazu. Bei Zeiss Ikon war das zunächst die Continette, dann die noch einfachere Colora. Man sparte am Objektiv (einfache Triplets mit Frontlinsenfokus) und am Verschluss (z.B. Prontor 125).   

Das Blitzgerät für AG-1 Blitzbirnen unter dem
hochgeklappten Zubehörschuh. Daneben auf der 
Rückspulkurbel der zughörige Blendenrechner.
Nachdem die Zeiss Stiftung im Jahr 1956 Zeiss Ikon's Konkurrenten Voigtländer von Schering übernommen hatte, und bevor man 1966 für beide Marken eine gemeinsame Vertriebsgesellschaft gründete, suchten die Verantwortlichen Anfang der 1960er Jahre nach Synergien. So teilte sich die zweite Generation der Colora ab 1963 das nun rundliche Gehäuse mit der Voigtländer Vitoret. Neben der Form ist der Voigtländer-typische Auslöseschieber auf der rechten Kameravorderseite charakteristisch für die neuen markenübergreifenden Kamerazwillinge. Die beiden Kameras sind zu 98% identisch und unterscheiden sich neben Beschriftung und wenigen ästhetischen Designelementen nur in einem kleinen technischen Detail (siehe unten). Ich gehe daher davon aus, dass auch die Colora mit den selben Maschinen wie die Vitoret vermutlich in Braunschweig gebaut wurde. Alles andere macht wirtschaftlich keinen Sinn.
 
Von beiden Modellen gibt es eine F (für "flash") Variante, die unter jeweils etwas höheren Gehäusekappen einen AG-1-Blitzbirnchenhalter und die entsprechende 15V-Batterie unterbrachte. Der Blitzreflektor klappte unter dem Zubehörschuh auf Knopfdruck elegant auf. Interessanterweise besitzen sowohl die Colora (ohne F) als auch die Vitoret eine PC-Buchse am Verschluss für den Anschluss von Blitzgeräten per Kabel, die Colora F (im Gegensatz zur Vitoret F !) diesen aber nicht mehr. Das heißt, man kann zwar ein externes Blitzgerät in den Zubehörschuh stecken, dies aber nirgends anschließen.

Vielleicht ist die fehlende Blitzbuchse für Zeiss Ikon auch das Argument, die Colora F mit 94 DM leicht unterhalb der 99 DM für die Voigtländer Vitoret F (Preisbindung!) zu positionieren. Von der Vitoret F wurden laut Claus Prochnow's Voigtländer Report 63500 Stück gebaut und verkauft, leider konnte ich zur Colora F keine Zahlen finden. Mich würde es allerdings nicht wundern, wenn die Zahl trotz des günstigeren Preises darunter liegen würde. 

Trotz des relativ günstigen Preises für diese Kameras war Blitzfotografie damit kein billiges Vergnügen. Ein Blitzbirnchen kostete ca. 40 bis 60 Pfennig, damit kostete ein Blitzfoto inklusive Film und Abzug mehr als doppelt so viel wie eines bei Tageslicht. Ich habe dazu leider nur Preislisten von 1956 und 1975 einsehen können, deren Preise allerdings ungefähr gleich auf lagen. Ich gehe mal davon aus, dass das auch für die 1960er Jahre galt. Kein Wunder, dass die am Ende der 1960er Jahre aufkommenden Elektronenblitze sich schnell durchsetzten, hier kostete ein Blitz außer den Anschaffungskosten fast nichts mehr. Eine mit der Vitoret/Colora F verwandte (Meilenstein-) Kamera zum Thema Elektronenblitz habe ich auch schon in meiner Sammlung...  


Datenblatt Kleinbild-Sucherkamera (24x36) mit eingebauten Blitzgerät für AG-1 Blitzbirnen
Objektiv Zeiss Ikon Novicar 50 mm f/2.8 (Triplet)
Verschluss Gauthier Prontor 125, B-30-60-125
Belichtungsmessung keine
Fokussierung manuell per Frontlinsenverstellung, keine Scharfstellhilfe
Sucher großer optischer Sucher mit Leuchtrahmen
Blitz eingebautes Blitzgerät für AG-1 Blitzbirnen, keine (!) alternative Anschlussmöglichkeit per Kabel.
Filmtransport mit Schnellschalthebel, Bildzählwerk (rückwärts)
sonst. Ausstattung Drahtauslösergewinde, Stativgewinde 1/4'', Zubehörschuh
Maße, Gewicht ca. 128 x 90 x 68 mm, 
Batterie 15 V Batterie für Blitzgerät, z.B. Daimon Nr. 324 oder Varta Pertrix Nr. 74
Baujahr(e) 1964-1965, Z.I.-Katalog-Nr. 10.0641. Vermutlich produziert auf der Vitoret-F Produktionslinie bei Voigtländer
Kaufpreis, Wert heute94 DM (1965), 5 €
Links Camera-WikiCamera manual (english), Photobutmore-Blitzseite, Vitoret F
Bei KniPPsen weiterlesen Vitrona, Die Geschichte des heißen Schuhs, Blitzbirnchen, Flash Bulbs

2025-03-01

Altissa Box

Dies ist nach der Baldessa 1 und der Agfamatic 300 Sensor Kamera Nummer 3 aus dem Einkaufsbeutel voller einfacher Kameras, den ich neulich geschenkt bekam. Es handelt sich um einen fast klassischen Vertreter einer Box-Kamera, einfachst konstruiert (billig zu bauen) und mit minimalen Einstell-Möglichkeiten für den Fotografen. Diese Altissa Box aus DDR-Produktion von 1954 bis ca. 1957 ist eine Neuauflage und Fortsetzung einer Vorkriegskonstruktion von 1937. 
Berthold Altmann hatte im Oktober 1934 die bis dahin von Emil Hofert geführte EHO-Kamerafabrik GmbH übernommen und ab ca. 1937 begonnen, seine Altissa-Boxen u.a. im kompakten 6x6-Format zu bauen, das durch die Rolleiflex populär wurde. Ab 1941 hieß die Firma schließlich Altissa-Camerawerk Berthold Altmann und begann nach der erzwungenen Kriegspause 1946 langsam wieder mit der Produktion der Vorkriegsmodelle. 1952 wurde Altmann enteignet und floh nach Westdeutschland. Das Altissa-Werk wurde als volkseigener Betrieb (VEB) weitergeführt, 1959 in die VEB Kamera und Kinowerke Dresden eingegliedert und die ehemaligen Produktionsräume 1961 aufgegeben. In diese Zeit fällt die Neuauflage der wohl anfangs recht erfolgreichen Altissa "Blechbüchse". Weitere Details kann man bei den unten aufgeführten Links finden.

Datenblatt Boxkamera aus Blech für 6x6-Aufnahmen auf Rollfilm 120
Objektiv Altissar Periskop f/8 (2 Linsen), Brennweite ca. 62 mm (selbst nachgemessen)
Verschluss Selbstspannender Einfachverschluss, B und 1/25s. Abblendbar durch Lochblende auf f/16
Fokussierung Fixfokus
Sucher großer optischer Fernrohrsucher
Blitz frühe Versionen der Kamera hatten eine PC-Buchse, dieses Modell vermutlich aus Kostengründen nicht mehr.
Filmtransport mittels Drehschraube an der rechten Kameraseite, rotes Rückseitenfenster, mit Schieber verschließbar.
sonst. Ausstattung Drahtauslösergewinde, Stativgewinde 3/8'', Ösen für Kameragurt.
Maße, Gewicht ca. 78 x 80 x 122 mm, 297 g (ohne Film, mit einer Spule)
Baujahr(e) 1954-1957, 
Kaufpreis, Wert heute 25.50 Mark (DDR, 1955), 5€
Links Camera-Wiki, VEBZeissIkon, Fotoapparate Meier, Lippisches Kameramuseum, Collection Appareils, Blende-Zeit-Forum

2025-02-16

Agfamatic 300 Sensor

Neulich habe ich an dieser Stelle ihre kleinere Schwester Agfamatic 200 "seziert", eine Einfachkamera mit Fixfokus-Objektiv und sehr begrenzter manueller Belichtungskontrolle. Die gesamte Agfamatic-Serie für den 126er Pak-Film umfasste mit der "50", der "100" noch zwei weitere Einfachstkameras mit noch weniger Einstellmöglichkeit und sogar nur einem einlinsigen Meniskus-Objektiv. Interessanterweise haben die Agfa-Ingenieure und die Designer von Schlagheck & Schultes mit der "300" noch eine fast vollwertige Kamera in das gleiche Plastikgehäuse mit dem schicken Aluminiumrahmen und dem orange-roten Sensor-Auslöser gefummelt. 

Der Sprung von der "200" zur "300" in der technischen Spezifikation ist enorm: Das dreilinsige Objektiv lässt sich fokussieren und die Belichtung wird nicht nur gemessen, sondern steuert automatisch die Verschlusszeit und das über den enormen Zeitenbereich von 30 s bis 1/300 s stufenlos. Angezeigt wird allerdings nirgendwo, welche Verschlusszeit gewählt wurde. Immerhin leuchtet eine kleine LED im Sucher, wenn Verwacklungsgefahr droht (>1/30s). Die beiden CdS-Fotowiderstände sind das auffallendste äußere Merkmal der "300" und gehören zu einer elektronischen Schaltung, die auch 2 Batterie-Knopfzellen benötigt und sich hinter der Frontabdeckung verbirgt.

Ich war natürlich neugierig und habe auch diese Kamera aufgeschraubt. Die verbaute Platine folgt wohl im Wesentlichen der Schaltung, die bei der Yashica Electro 35 erstmals erfolgreich eine Zeitautomatik implementiert hatte. Interessant ist, dass tatsächlich der relativ simple 2-Sektorenverschluss Parator mit wenig mechanischem Zusatzaufwand zum elektronisch gesteuerten Paratronic werden konnte. Auf meinem Bild sieht man deutlich den kleinen Elektromagneten und den grünen Kondensator als die beiden wesentlichen Teile des Hemmwerks.

Was mich allerdings sehr erstaunt hat, weil es sonst nirgendwo erwähnt wird: Eine Blende fehlt bei dieser Kamera, die gesamte Belichtungssteuerung wird alleine von der Zeitautomatik bei voller Blende f/8 übernommen. Damit ist ab ca. LW 14.5 Überbelichtung garantiert. Insbesondere für die Blitzfotografie wird üblicherweise eine Blende vorausgesetzt, was aber streng genommen nur für Elektronenblitze gilt. Bei den langsamer (aber dafür heller) ablaufenden Blitzbirnchen, die auch hier im Magicube verwendet werden, kann man die Belichtung auch per Verschlusszeit steuern. Ungewöhnlich, aber es geht.


Für Langzeitbelichtungen, die ja mit dem Verschluss bis zu 30 s möglich waren, gab es neben dem Stativgewinde (was auch alle anderen Agfamatic's hatten) konsequenterweise auch ein Gewinde für einen Drahtauslöser.  Die Kamera war mit 163 DM (1975) ungefähr 50% teurer als die automatik- und batterie-lose "200", und doppelt so teuer wie eine "100" mit dem Meniskus-Objektiv. Bessere Bilder als diese hat sie vermutlich speziell in besonderen Situationen gemacht. Allerdings bekam man ab ca. 220 DM auch bei Agfa schon echte Kleinbild-Kameras. In den 1970ern drängten die Japaner mit Macht auf den Europäischen Markt, mit günstigen, aber besser ausgestatteten Kameras wie der Konica C35. Dagegen hatte es diese spezielle (und damit relativ teure) Billigknipse besonders schwer, die Verkaufszahlen waren wohl nie besonders hoch.

Die Agfamatic Serie bekam 1978 von Agfa ein Upgrade spendiert, die "50" wurde zur "55C" und noch billiger (kein Aluminiumrahmen mehr), die "100" und "200" wurden zur "108" und "208" und hatten neben einem moderneren Gehäuse jetzt Flipflash statt Magicube. Nur die "300" blieb wie sie war im Programm, vermutlich gab es noch etliche schon produzierte Einheiten auf Lager, die noch abverkauft werden sollten. Die Kamera, die ihr bzgl. Spezifikation am nächsten kam, war übrigens die Pentacon Electra, quasi ihr Pendant auf der anderen Seite des damals die Welt trennenden eisernen Vorhangs. Neben ihr steht meine Agfamatic 300 jetzt im Regal.

Datenblatt Kompakte Sucherkamera für 126er Pak-Film mit Zeitautomatik
Objektiv Agfa Color-Agnar 44 mm f/8 (Cooke-Triplet, Plastik)
Verschluss Paratronic-Zweisektoren Verschluss hinter dem Objektiv, stufenlos elektronisch gesteuert von 30s bis 1/300 s. Kamera hat weder eine Einstellung für Filmempfindlichkeit noch eine Blende. 
Belichtungsmessung mit 2 CdS-Fotowiderständen.
Fokussierung Zonenfokus, drei Rastpunkte Unendlich, Gruppe, Portrait (1.20m).
Sucher optischer Newton-Durchsichtsucher, Leuchtrahmen. Verwacklungswarnung per roter LED.
Blitz Anschluss für X-Blitzwürfel (Magicubes), die beim Filmtransport gedreht werden. Entfernungsskala für Blitzfotografie unten am Objektiv.
Filmtransport Schnellschalthebel, Bildnummer auf Rückseitenpapier durch Fenster in der Rückwand.
sonst. Ausstattung Sensor-Auslöser, 1/4'' Stativgewinde, Gewinde für Drahtauslöser, Öse für Handschlaufe. 
Maße, Gewicht ca. 102 x 66 x 55 mm, 189 g
Batterie2 x PX625
Baujahr(e) 1971 - 1977, im Verkaufsprogramm von Agfa bis ca. 1982.
Kaufpreis, Wert heute 163 DM (1975, kleine Geschenkpackung, inkl. Film, Handschlaufe und einem Blitzwürfel). Heutiger Wert: ca. 20 €, unbenutzt in Geschenkverpackung: ca. 50€. 
Links Camera-Wiki, Museum Digital, Agfa-Museum ScholzCollection Appareils
Bei KniPPsen weiterlesen Geschichte der BelichtungsautomatikYashica Electro 35, Pentacon Electra, Agfamatic 200 auseinandergenommenKodak Instamatic 100, ...104, Instamatic SLR, Agfamatic Pocket 4000, Agfa Isoflash Rapid, 126er Kameras 

2025-02-08

Agfamatic 200 Sensor - auseinandergenommen


Sie war Gegenstand meines allerersten Blog-Posts (am 21.8.2010), eben weil sie auch meine erste Kamera war, die ich als Kind von meinen Eltern geschenkt bekam. Weil ich seit längerem 2 Exemplare besitze, habe ich beschlossen, eines davon zu "opfern", um sie mir von Innen genauer anzuschauen. Außerdem bin ich seit kurzem auch Besitzer einer Agfamatic 300 (dazu bald mehr) und der technische Vergleich der jeweiligen Varianten reizte mich zusätzlich. Bei dem ganzen Prozess ist mir klar geworden, wie genial diese Kameras designed sind, sowohl technisch als auch ästhetisch. Es ist eigentlich eine viel gößere Leistung, so eine Massenkamera zu bauen, die trotz eines niedrigen Preises gute Bilder abliefert, als eine High-End-Kamera mit großem Entwicklungsbudget. Agfa hat ihre Sache sehr ordentlich gemacht, die Kameras waren wohl sehr erfolgreich und ihre Produktionszahl dürfte insgesamt 7-stellig gewesen sein. Leider findet man eher wenig solcher Informationen oder Details über ihre Entwicklungsgeschichte. Daher hier mal der Versuch, zumindest technisch eine genauere Dokumentation ins Netz zu stellen:
   
"Parator" Zweisektorenverschluss von vorne (links) in geöffnetem
Zustand und von der Rückseite (rechts). Das Hemmwerk ist der 
kleine weiße Plastikhebel.
Der Parator genannte Verschluss sitzt hinter dem Objektiv und ist ein sogenannter Zweisektoren-Verschluss, dessen Lamellen beim Verschlussablauf gleichsinnig, aber zeitlich verzögert ablaufen und dabei die zentrale Öffnung kurzzeitig freigeben. Beim Spannvorgang in die Gegenrichtung nimmt die eine Lamelle die andere so mit, dass die Öffnung immer bedeckt ist. Die zweite Lamelle kann beim Verschlussablauf mit einem kleinen Plastikhebel so gebremst (gehemmt) werden, dass sich verschiedene Verschlusszeiten realisieren lassen. Bei der Agfamatic 200 sind das angeblich 1/80 s und 1/40 s (nachgemessen habe ich das nicht). Der Verschluss besteht aus erstaunlich wenigen Einzelteilen und lässt sich auch einfach montieren.

Rückseitenansicht der Blende
Zwischen Verschluss und Objektiv sitzt die Blende, die aus zwei rechteckigen Schiebern gebildet wird, die je nach Stellung ein mehr oder weniger großes Quadrat freigeben. Ein rundes Messingblech fungiert als Steuereinheit mit entsprechend ausgesparten Steuerkurven. 

Zusammen mit dem Verschluss wurden bei der Agfamatic 200 vier Belichtungseinstellungen realisiert, die über die vier Symbole am Objektivring angewählt werden, wobei nur beim Wolkensymbol die 1/40 s gewählt wird. Bei den drei anderen Symbolen wird mit 1/80 s belichtet und entsprechend abgeblendet. Interessanterweise hat die Steuerkurve der Blende ihre größte Öffnung bei Stellung 2 (diesige Sonne), bei Wolke wird etwas abgeblendet, allerdings nicht so stark wie bei den anderen beiden Stufen Sonne und Strand. 

Die schwarze Plastikfassung der Blende trägt dann auch das Objektivgewinde (21 mm Durchmesser), wo das Fixfokusobjektiv eingeschraubt ist. Das Objektiv selbst wiegt nur 2.5 g, besteht aus fünf Teilen, von denen drei Plastiklinsen sind, sowie die schwarze Fassung und eine winzige kreisrunde schwarze Blende im Zentrum. Die Konstruktion ist das klassische Cooke-Tripletangepasst an die optischen Eigenschaften der verwendeten Plastiksorten. Vermutlich bestehen die äußeren Sammellinsen aus Polymethyl-Methacrylat (PMMA, bekannt als Plexiglas), die mittelere Zerstreuungslinse aus Styrol-Acrylnitril-Copolymer (SAN).

Mein erstes und bisher einziges zersägtes Objektiv.
Solche Objektive haben für den Zweck völlig ausreichende Abbildungsleistungen, lassen sich aber für Pfennigbeträge in großen Stückzahlen leicht herstellen. An manchen Stellen liest man die Annahmen, dass alle Agfamatic-Kameras einfache Meniskusobjektive verwenden. Das trifft aber nur auf die beiden preiswertesten Agfamatic Modelle 50 und 100 zu ("Colorstar" Meniskus f/11). Plastik-Triplets gibt es im Kamerabau seit Ende der 1950er Jahre, natürlich war Kodak ein Pionier hierbei (z.B. Brownie Starflex).

Der aufwändigste Teil der Kamera ist die ganze Mechanik, die für Filmtransport, Verschluss-Spannen und dem damit verbundenen Drehen des Blitzwürfels im oberen Drittel der Kamera verbaut wurde. Hier findet sich ganz viel Messing und Stahl, der Großteil der Einzelteile und mit 54 g (30%) mehr Gewicht als der im Plastik-Druckguss extrudierte Grundkörper der Kamera (30 g). Auch der schicke Aluminiumrahmen trägt mit 32 g (18%) dazu bei, dass die Agfamatic gut in der Hand liegt und nicht als billige Knipse wahrgenommen wird, die sie eigentlich ist. Der Aluminiumrahmen scheint um die innere Kamera herumgebogen worden sein, bevor schließlich der Schnellschalthebel aufgepresst und die Plastikfront sowie die Rückwand angeschraubt wurden.




Gewichtsverteilung     [g]
Grundgehäuse, Plastik, inkl. Sucher 29.75  
Frontkappe, Plastik 18.44 
Rückwand, Plastik 28.56
äußerer Rahmen, Aluminium 32.00
Mechanik, Schnellschalthebel, Schrauben,(Messing, Stahl, Plastik) 55.90    
Objektiv, Plastik  2.50
Verschluss, Messing und Plastik 10.66
Blende, Plastik und Stahl  5.23
Total... 183.4

Der Sensor-Auslöser (Patent DE 1 622 174) und das damit verbundene Design-Element mit dem orangen Punkt war für Agfa insgesamt ein Marketing-Geniestreich. Der beworbene technische Vorteil, dass ein Druck mit minimalem Hub auf diesen Auslöser weniger verwackelte Aufnahmen verursacht als ein traditioneller Auslöser, war wohl eher marginal. Neben den beiden mechanischen Varianten, die im Patent gezeigt werden, gibt es noch eine dritte als elektrischen Schalter, die insbesondere für spätere elektronische Kameras wichtig werden sollte. 

Es gäbe an dieser Stelle noch mehr zu schreiben, z.B. über den Blitz, die Unterschiede zu den anderen Agfamatic Modellen und einiges mehr. Das hebe ich mir für demnächst auf, wenn ich über die Agfamatic 300 berichten werde...

Datenblatt Einfache Sucherkamera für Pak-Film (126), 28x28 mm
Objektiv Agfa Color-Agnar 44 mm f/8
Verschluss Parator-Zweisektoren Verschluss hinter dem Objektiv, ca. 1/40 s und 1/80 s
Belichtungsmessung keine, Einstellung über 4 Belichtungssymbole (Wolke, Tageslicht, Sonne Strand), siehe Text.
Fokussierung Fixfokus, 1.20 m bis unendlich.
Sucher optischer Newton-Durchsichtsucher, Leuchtrahmen
Blitz Anschluss für X-Blitzwürfel (Magicubes), die beim Filmtransport gedreht werden. Entfernungsskala für Blendeneinstellung beim Blitzen unten am Objektiv.
Filmtransport Schnellschalthebel, Bildnummer auf Rückseitenpapier durch Fenster in der Rückwand.
sonst. Ausstattung Sensor-Auslöser, 1/4'' Stativgewinde, Öse für Handschlaufe
Maße, Gewicht ca. 102 x 66 x 55 mm, 183 g
Batterie keine
Baujahr(e) 1971 - 1977, diese am 9. Juli 1976 (Stempel)
Kaufpreis, Wert heute 110 DM (1975, kleine Geschenkpackung, inkl. Film, Handschlaufe und einem Blitzwürfel), große Geschenkpackung 118.50 DM mit zusätzlicher Bereitschaftstasche. Heutiger Wert: ca. 5 €, unbenutzt in Geschenkverpackung: ca. 40€. 
Links Camera-Wiki, Lippisches Kameramuseum, Optiksammlung, Agfa-Museum Scholz, Industrie-und-Filmmuseum Wolfen, Collection Appareils
Bei KniPPsen weiterlesen Mein erster Blogeintrag, Kodak Instamatic 100, ...104, Instamatic SLR, Agfamatic Pocket 4000, Agfa Isoflash Rapid, 126er Kameras 




2025-02-02

Baldessa I

Ich bekam neulich einen ganzen Einkaufsbeutel voll mit alten Kameras geschenkt, die meisten davon einfache Massenware, nichts wirklich aufregendes für einen Kamerasammler. Ich habe mich trotzdem entschlossen, die Dinger hier vorzustellen und entsprechend zu würdigen. Anfangen möchte ich mit dieser Baldessa I vom Balda Kamerawerk in Bünde. Sie ist zwar defekt (der eigentlich charakteristische Filmtransportschlüssel auf der Kameraunterseite fehlt), sieht aber trotzdem schick aus, mit ihren abgeschrägten Ecken und der kompakten Form. Irgendwo habe ich gelesen, sie sähe aus wie ein angelutschtes Bonbon.

Diese Baldessa 1 war 1957 die erste Kamera der erfolgreichen Baldessa-Serie, die bis Mitte der 1960er Jahre gebaut und wohl in großer Zahl verkauft wurden. Schon 1958 gibt es ein erstes Update mit einem Sucherfenster zur Einspiegelung eine Leuchtrahmens, spätere Modelle dann auch Messsucher und einen eigebauten Belichtungsmesser. Das eingebaute Objektiv war immer ein 45 mm f/2.8 (Baldanar, Color-Isconar oder ISCO-Westanar). 

Interessanterweise hat mein 1957er Exemplar hier das Color-Isconar (sonst eher bei späteren Modellen anzutreffen) in Kombination mit der high-end Version des Prontor-SVS (bis 1/500 s) inkl. Lichtwertskala, siehe Tabelle unten. Sonst wird die Kamera eher mit einfachen 3-Zeiten Vario, Pronto, Prontor 125-Verschlüssen beschrieben, manchmal allerdings auch mit einem Prontor-SVS (bis 1/300s). Mhmm, hier werde ich wohl nochmal tiefer reinschauen müssen. Kommentare wie immer willkommen...

Datenblatt Kleinbildsucherkamera
Objektiv ISCO Color-Isconar 45 mm f/2.8 (Triplet)
Verschluss Prontor-SVS Zentralverschluss, B-1-2-4-8-15-30-60-125-250-500
Belichtungsmessung keine (spätere Baldessa-Modelle mit Selenzelle)
Fokussierung manuell per Frontlinsenverstellung, minimale Entfernung 1 m
Sucher einfacher optischer Sucher, keine eingeblendeten Bildrahmen oder Parallaxenmarkierungen.
Blitz PC-Buchse, umschaltbar M und X, alle Zeiten.
Filmtransport mit Filmtransportschlüssel auf der Kameraunterseite (fehlt hier), Bildzählwerk, ausklappbare Rückspulkurbel.
sonst. Ausstattung Lichwertskala und damit verbundene gekoppelte Zeit- und Blendeneinstellung. Stativgewinde 1/4'', Filmmerkrädchen, ISO-Drahtauslösegewinde, Zubehörschuh, Gurtösen
Maße, Gewicht 120 x 80 x 64 mm, 450g
Batterie keine
Baujahr(e) 1957
Kaufpreis, Wert heute ca. 100 DM (1957 ?), ca. 10-20 €
Links Camera-WikiShutterbug Review, Lippisches Kameramuseum
Bei KniPPsen weiterlesen Westdeutsche Nachkriegs-Kameraproduktion, Baldina (1936), Baldina (50er), Belca, Retinete

2025-01-18

Orionwerk Rio 84A

Diese sehr gut erhaltene kleine Rollfilmkamera ist mein dritter "Fang" von der letzten Darmstädter Foto-Börse im Dezember. Ich hielt sie im ersten Augenblick für den mir noch fehlenden Krauss Rollette Typ 1, nach etwas Inspektion habe ich aber die Hersteller-Prägung entdeckt: ORIONWERK Akt.Ges. HANNOVER.

Vom Orionwerk hatte ich schonmal gelesen, eine Kamera von ihnen ist mir in all den Jahren, die ich jetzt schon sammele aber noch nicht untergekommen. Ein erster schneller Internet-Check hat auch nicht viel rausgeworfen. Da habe ich beschlossen, das mal zu ändern und habe (sehr günstig) zugeschlagen. 

Das Orionwerk war eine 1921 gegründete Aktiengesellschaft, die sich in Anzeigen als „ältestes und grösstes Kamerawerk Norddeutschlands“ auf das Gründungsjahr 1893 berief. Vorgängerfirmen waren Bülter & Stammer (1903-1921) sowie davor Glunz & Bülter (1893 - 1903). Hauptanteilseigner und langjähriger Geschäftsführer war seit 1913 Friedrich Augstein, der Vater des später bekannten Journalisten und Spiegel-Herausgebers Rudolf Augstein. 

Das Orionwerk produzierte hauptsächlich die in den 1920er Jahren vorherrschenden Plattenkameras in der üblichen Laufboden-Variante, aber auch verschiedene Rollfilmkameras. Es gab eine fast unübersichtliche Vielzahl an Modellen, die interessanterweise alle "Rio" hießen, gefolgt von einer Modellnummer und einem optionalen Großbuchstaben (A bis E). Die Buchstaben liefern einen Hinweis auf das Film- oder Plattenformat. Bei den Plattenkameras bedeutete B: 6.5x9 cm und C: 9x12 cm, bei den Rollfilmen A: 4x6.5 (127er), B: 5x7.5 (129er), C: 6x9 (120er), D: 6.5x11 (116er), E 8x10.5 (118er). 

Keine dieser Rio-Kameras hatte ein technisch herausstehendes Merkmal, noch wurde viel in Marketing und Vertrieb investiert, sonst würden wir heute über diese Kameras viel mehr wissen. In den 1920er Jahren konnte man wohl im allgemeinen Aufschwung mit dieser Geschäftspolitik noch überleben, doch die Weltwirtschaftskrise, die in Deutschland insbesondere das Jahr 1932 betraf, brach Orion das Genick. 1933 wurde Insolvenz angemeldet. Friedrich Augstein hatte das schon kommen sehen und seine Anteile bereits 1928 verkauft und in einen Fotohandel in Hamburg investiert.  
Diese Rio 84A war tatsächlich die kleinste Kamera aus dem Rio-Sortiment und zielte natürlich auf das von der Vest Pocket Kodak begründete Marktsegment, deren Film sie auch verwendet. Die relativ simple Spreizen-Konstruktion wurde von der C.P.Goerz Pocket-Tenax abgeguckt, findet sich aber auch bei anderen Herstellern (z.B. bei der oben erwähnten Krauss Rollette Typ 1). Daher würde ich die Kamera tatsächlich in die frühen 20er Jahre verorten, die einzige Quelle, die ich finden konnte, gibt mir mit 1924 Recht. Mein Exemplar ist für die 100 Jahre extrem gut erhalten und anscheinend voll funktionsfähig. Man findet sie (wie viele andere Rio-Kameras) sehr selten. Eine Schätzung der Produktionsmenge traue ich mir bei dieser Datenlage nicht zu, wer immer Informationen hat, bitte melden. Ich werde weiterhin die Augen offenhalten.

Datenblatt Rollfilm-Spreizenkamera 4x6.5 cm für Rollfilm 127
Objektiv Orionwerk Spezial-Aplanat 7.5 cm f/8, abblendbar auf f/32
Verschluss Alfred Gauthier Pronto Zentralverschluss, selbst-spannend. T-B-25-50-100
Fokussierung Fixfokus
Sucher Brilliant-Sucher (nur hochkannt) und aufklappbarer Rahmensucher mit Kimme.
Filmtransport mittels Filmschlüssel, rotes Rückseitenpapierfenster
sonst. Ausstattung ausklappbarer Standfuß für Hochformat-Aufnahmen, Drahtauslösergewinde. Kein Stativgewinde!
Maße, Gewicht 126 x 70 x ca. 30/80 mm (ein-/aus-geklappt), 360 g
Baujahr(e) ca. 1924, dieses Exemplar hat die Seriennummer #167328
Kaufpreis, Wert heute ??, ca. 100€
Links Camera-wiki, Wikipedia, Collectiblend, Photographica-World (Prospekt 1923)
Bei KniPPsen weiterlesen Vest Pocket Kodak, Picolette, Rolette, Roll Tenax, Rollfilm 127, Rollfilme (Übersicht)

2025-01-01

Nagel Ranca (46/1)

Mit der Nagel Ranca habe ich eine weitere 3x4 Halbformat-Kamera für den 127er Rollfilm meiner Sammlung hinzugefügt. Es ist schon Nummer 15 und die vierte aus dem Hause Nagel. Die Ranca wurde parallel zur Pupille von Ende 1930 bis irgendwann Mitte/Ende 1931 gebaut und ist bei gleichem Grundgehäuse quasi deren Billigversion. Auch wenn es damals sehr üblich war, Kameras in verschiedenen Ausstattungsvarianten bzgl. Verschluss und Objektiv anzubieten, ging Nagel bei der Vermarktung der beiden Schwestern sehr konsequent vor: Die am besten ausgestattete Ranca war immer noch schlechter bestückt (und billiger) als die schlechteste Pupille. Als Objektiv wurde für die Ranca fast ausschließlich der Nagel-Anastigmat 5 cm f/4.5 verbaut, ein Triplett. Bei den Verschlüssen griff man neben einem hauseigenen Nagel-Einfachverschluss zu Gauthier (Pronto oder Ibsor). 

Die Ranca neben der Pupille, mit der sie das Basis-Gehäuse teilte. 
Der teure doppelte Schneckengang der Pupille wurde bei meiner Ranca durch einen fixen Tubus ersetzt. Damit war sie für den Transport nicht mehr so kompakt wie die Pupille, außerdem konnten nur das einfache Triplett als Objektiv eingesetzt werden, bei dem Frontlinsenfokussierung möglich war. Diese Version wird in Sammlerkreisen heute mit ihrer Nagel-Modellnummer als Ranca 46/1 bezeichnet. Man findet aber auch Rancas mit einfachem Schneckengang (Ranca 46 bzw. 46/0), bei denen wenigstens das Objektiv noch eingefahren werden konnte, die Frontlinsenfokussierung bleibt aber auch hier nötig. Ob diese beiden Ranca-Versionen parallel angeboten wurden, oder die Vereinfachung über die Zeit voranschritt und der Schneckengang irgendwann dem letzten Sparstift zum Opfer fiel, ist leider unbekannt. Daher könnte man meinen, dass die einfachere Variante 46/1 die spätere sein sollte. Eine schnelle Seriennummern-Analyse sagt aber was anderes: Die 46/1-Kameras tragen 8x,xxx Nummern, während meine 46/0- Sichtungen zwischen 96,xxx und 105,xxx lagen. 
Komplett interkompatible Filmführungen von
Ranca (links) und Pupille mit sichtbaren Qualitätsunterschieden.

Wenn auch weitgehend in allen Dimensionen identisch (ich habe es ausprobiert und zwischen Ranca und Pupille getauscht!), hat Nagel auch beim Innenleben soweit es geht gespart. Die Pupille hat ein extra in Nickel gefasstes Bildfenster und Federstahlzungen für bessere Filmführung. Beides fehlt bei meiner Ranca, wie man am Bild links sieht.

Obwohl es eine Billigversion war, ist die Ranca viel weniger erfolgreich gewesen als ihre teurere Schwester Pupille und daher heute viel seltener anzutreffen. Helmut Nagel berichtet in seinem Buch "Zauber der Kamera" (ISBN 3-421-02516-9) von nur insgesamt 2200 Ranca Kameras im Vergleich zu ca. 5000 Pupillen oder gar 43.000 Vollenda 48, die bei ihrem Erscheinen (Mitte 1931, ab Nagel-Seriennummer 115,xxx) die Ranca abgelöst haben dürfte.

Die drei Nagel 3x4-Schwestern: Pupille, Vollenda 48 und Ranca (46/1)
Auch wenn die Ranca selbst keine Erfolgsgeschichte wurde, muss man August Nagel und seiner Firma rückblickend für ihre Modellpolitik gratulieren. Die Pupille war als Premiumprodukt angetreten, der Leica im neu entstehenden Kleinbildmarkt Paroli zu bieten. Nagel hat aber schnell erkannt, dass in der Hochpreisnische bei hohen Produktionskosten nicht genug zu holen ist. Für den Massenmarkt, den er auch später stets im Blick hatte, musste was billigeres her: Das war zunächst die Ranca, die sich mit der Pupille viele Einzelteile teilte. Doch Nagel realisierte, dass die Konkurrenz mit kleinen, einfachen Faltbalgenmodellen (z.B. die Korelle) durchaus am Markt Erfolg hatte. Daher wurde die Vollenda 48 entwickelt und letztlich zum Kassenschlager. Ich glaube, sie war die erfolgreichste 3x4-Kamera. Das hinderte Nagel nicht, sondern spornte ihn eher an, den nächsten konsequenten Schritt zu gehen und damit die gesamte 3x4 Konkurrenz abzuhängen, bzw. in die Aufgabe zu zwingen: Die Entwicklung der Retina inklusive der 135er Patrone


Datenblatt Kompakte 3x4 Einfachkamera (Rollfilm 127)
Objektiv Nagel-Anastigmat 5 cm f/4.5 (Triplett).
Verschluss Gauthier Pronto-S (T-B-25-50-100), auch mit Ibsor oder Nagel-Verschluss
Fokussierung Manuell per Frontlinsenverstellung, manche Modelle mit Zonenfokus-Bezeichnungen
Sucher Aufklappbarer optischer Durchsichtsucher.
Filmtransport per Drehknopf von Rolle zu Rolle, gute Planlage durch spezielle Filmführung, Bildzählung mit doppeltem roten Fester.
sonst. Ausstattung Drahtauslösergewinde, 3/8‘‘ Stativgewinde
Maße, Gewicht ca. 97 x 68 x 62 mm, 294 g
Baujahr(e) 1930-1931, ca. 2200 Exemplare, diese #82641 von 1931
Kaufpreis, Wert heute ca. 70 RM (1931), 100-200€ je nach Zustand.
Links Camera-wikiCollection AppareilsCoeln Cameras
Bei KniPPsen weiterlesen Das plötzliche Verschwinden der 3x4 KamerasAugust Nagel, Meine 3x4 Sammlung, Pupille, Vollenda 48 (1), Vollenda 48 (2),  Nagel VorkriegsproduktionGevaert 127er Rollfilm, Kodak Rollfilm 127, Retina 117

2024-12-25

Weihnachtsfotos auf alten Glasplatten

Diese Schachtel mit alten Glasplatten-Negativen fiel mir auf der Darmstädter Fotobörse vor 4 Wochen  in die Hände und ich habe sie spontan für ein paar Euro gekauft. Das aufgeklebte, handgeschriebene Schildchen mit „Familienphotos bis 1914“ weckte meine Neugier. Ein erster Kontrollblick auf der Börse zeigte einen Stapel gut erhaltener Glasnegative in Cellophanhüllen, drei davon im kleinen Plattenformat 6.5x9 cm, die anderen waren 9x12 cm groß. 

Diese Negative wurden natürlich mit Plattenkameras aufgenommen, wie ich sie hier oder hier schon beschrieben habe. Früher hat man von solchen Glasplatten Kontaktkopien hergestellt, z.B. mit Agfa Lupex Kopierpapier. Ich habe heute natürlich andere Möglichkeiten und die digitalen Abzüge, die ich hier auf der Seite veröffentliche, habe ich mit dem Aufbau links gemacht, mit einfacher Bildbearbeitung ins Positiv verwandelt und in brauchbare Form gebracht. 

Zwei der kleineren Platten zeigen eine Familie unter dem Weihnachtsbaum. Wenn man genau hinschaut, sieht man mindestens zwei Details, die eine zeitliche Einordnung erlauben: Zum einen trägt der mittlere Sohn der Familie ein Hemd mit Reißverschluss (erstmals ab Mitte der 1930er für weite Kreise verfügbar), außerdem weht auf der Ritterburg des Jüngsten eine kleine Hakenkreuzflagge.


Die größeren 9x12 Platten zeigen vermutlich ältere Motive. Nach der Mode zu urteilen, würde ich allerdings nur bei der Frau mit dem Kinderwagen und eventuell bei der Silberhochzeitsgesellschaft (?) von frühem 20. Jahrhundert ausgehen. Die anderen beiden Aufnahmen wirken für mich etwas moderner (evtl. 1920er Jahre?). Aber, urteilt selbst! Ich hoffe, ich trete mit der Veröffentlichung dieser alten Familienaufnahmen niemanden auf die Füße. Wenn jemand die Fotos kennt und mehr dazu erzählen kann, bitte unten kommentieren. Ansonsten: Frohe Weihnachten!


2024-12-17

Rectaflex


Seit langem hier mal wieder ein Spiegelreflex-Meilenstein: Die italienische Rectaflex war die erste in Serie gefertigte SLR mit einem Pentaprisma. Sie kam im Oktober 1948 auf den Markt und hat damit die anderen Teilnehmer des "Rennens" um diese Innovation eindeutig hinter sich gelassen. Dies gilt seit dem akribisch recherchierten Buch von Marco Antonetto (la Reflex Magica) als gesichert. Bedauerlicherweise gibt es immer noch Sammler, die die alte Dresdener Behauptung wiederkäuen, der Contax S gebühre diese Ehre. Auch unter meinem Beitrag zur Contax F gibt es einen solchen unbelehrbaren Kommentar. Eine gute um umfangreiche Zusammenfassung des "Rennens" und Diskussion der zeitlichen Abfolge findet sich hier.
Das Pentaprisma als zentrales Element
der modernen Spiegelreflexkamera.
Ich habe eigentlich nicht mehr damit gerechnet, dass ich eine Rectaflex mal meiner Sammlung hinzufügen kann, ist sie doch im Vergleich zum Beispiel zur Contax S relativ selten anzutreffen und wird daher üblicherweise entsprechend hochpreisig gehandelt. Mir lief sie auf der jährlichen Darmstädter Foto-Börse über den Weg und wegen ihrer ausgeprägten Gebrauchspatina und etwas Verhandlungsgeschicks konnte ich sehr günstig zuschlagen. 

Mein erster Eindruck war: Was für ein Klotz, mit Objektiv fast 1kg schwer, auf Bildern wirkt sie ohne direkten Vergleich kleiner. Außerdem hat sie insgesamt eine sehr hochwertige Anmutung mit einigen State-of-the-Art Features, natürlich bezüglich der späten 1940er Jahre, in mancher Hinsicht wirkt sie sogar rückblickend modern. Das ist insbesondere erstaunlich, wenn man bedenkt, dass ihre Erbauer keinerlei Erfahrungen mit Kameras hatten und sie am Ende die erste und einzige italienische Spiegelreflexkamera bleiben sollte. 

Die Geschichte der Kamera ist sehr interessant und in deutscher oder englischer Sprache noch nicht detailliert im Netz zu lesen. Meine Hauptquelle für diese Kurzzusammenfassung ist die unten angegebene italienische Website, die sich wiederum auf das oben erwähnte Buch beruft. Das Ganze startet im Jahr 1946 als der römische Jurist Telemaco Corsi von der perfekten Kamera träumt und sich für ihn als nebenberuflich leidenschaftlichen Erfinder die Gelegenheit ergibt, seinen Traum auch umzusetzen. Corsi ist eigentlich Geschäftsführer von S.A.R.A. (Studi Atrezzature Realizzazioni Automechanice), einer kleineren Firma bei Rom, die alte Militärfahrzeuge für zivile Zwecke umrüstet. Während des Krieges hatte man unter anderem auch optisches Equipment wie Zielfernrohre in Lizenz montiert. Corsi war nicht Eigentümer, sondern nur angestellter Geschäftsführer von SARA, das zum großen Industriekonzern SNIA Viscosa, einem bedeutenden Kunstseidehersteller, gehörte. Er schaffte es irgendwie seine Chefs und Geldgeber von SNIA zu überzeugen, dass der Bau seiner Traumkamera eine gute Idee und neues Betätigungsfeld seiner Firma werden sollte.
 

Er scharrte also ein paar Techniker und Gleichgesinnte um sich und schaffte es, innerhalb weniger Monate einen noch nicht funktionierenden Prototypen zu konstruieren, der auf der Mailänder Messe im Juni 1947 vorgestellt wurde. Dieser hatte schon einen Rückschwingspiegel, aber das damals verwendete Prisma erzeugte zwar ein aufrichtiges, aber noch seitenverkehrtes Bild. Dies wurde schließlich durch die Verwendung des bis heute üblichen Dachkant-Pentaprismas geändert. Das folgende Jahr nutzte Corsis Team, um die Konstruktion mehr oder weniger fertigzustellen. Auf der Mailänder Messe 1948 konnte man die Besucher mit einer funktionierenden Kamera begeistern, was Corsi nutzte, seine Geldgeber vom Einstieg in die Serienfertigung zu überzeugen. Ab Oktober begann dann die Auslieferung der ersten Exemplare und das "Rennen" war gewonnen. Ich habe keine Ahnung, ob Corsi oder die anderen Teilnehmer überhaupt wussten, dass sie an einem solchen teilnahmen.

Die Kamera hatte natürlich anfangs einige Kinderkrankheiten,  insbesondere mit dem Verschluss. Kein Wunder bei der geringen Erfahrung des Entwicklerteams und der Geschwindigkeit, mit der diese Kamera quasi aus dem Boden gestampft wurde. Die ersten Jahre wurde bei laufender Produktion weitere ständige Verbesserungen implementiert, kurzzeitig gab es daher eine abgespeckte "Junior"-Version ohne Langzeitwerk und nur 1/500s als kürzeste Zeit. Nach fast 5000 ausgelierten Kameras und 4 Jahren hatte man 1952 endlich eine fertige Kamera (die sogenannte Standard 1000), allerdings war die Sache viel teurer geworden als gedacht und die Verkäufe ließen zu wünschen übrig. 



Die Verantwortlichen von SNIA entbanden Corsi von der Gesamtführung der Unternehmung, ließen ihm aber weiter das Entwicklungslabor, wo er schon bald den neuen Standard 1300 entwickelte (z.B. diese Kamera hier, Serien-Nummer ab 25001), der für die folgenden ca. 2 Jahre die produktivste Zeit des Unternehmens (300 Kameras pro Monat bei insgesamt 300 Angestellten) prägen sollte. Für Vertrieb und Marketing wurde Leon Baume angeheuert, dem es schließlich gelang, einen lukrativen Großauftrag für die US-Streitkräfte von insgesamt 30.000 Kameras über 5 Jahre an Land zu ziehen. Das entspräche ca. 500 Exemplare pro Monat, und hatte zur Folge, dass schon die erste Lieferung von 1500 Kameras Verspätung hatte. Die US-Armee stornierte daraufhin die folgenden Bestellungen und bezahlte wohl auch nicht die vereinbarte Summe.
 
Von diesem Schlag sollte sich das Rectaflex-Projekt nicht mehr erholen. Corsi und Baume kamen nicht miteinander klar und Ende 1954 beschloss SNIA Viscosa, die Produktion mit den noch vorhandenen Einzelteilen im Jahr 1955 auslaufen zu lassen. Baume suchte gleichzeitig einen Käufer für das Kameradesign und die Maschinen und fand den Fürsten Franz Josef II. von Lichtenstein, der die Firma schließlich mit seiner eigenen Kameraschmiede Contina zur Rectaflex International verschmolz. Dort in Vaduz sollte dann eine Weiterentwicklung der Standard 1300 mit anders geformten Prismengehäuse (Seriennummer ab 40001) "vom Band laufen". Der Umzug und Implementierung zogen sich dann aber bis 1958 und es wurden letztlich nur 300 Kameras in Lichtenstein produziert. 

So sehr mich die Kamera und ihre Geschichte faszinieren, ich wundere mich nicht über das Scheitern und die Umstände, die dazu geführt haben. Ähnliche Beispiele kenne ich aus Deutschland und habe sie hier im Blog vorgestellt und als 50er-Jahre Start-ups bezeichnet. Es war halt die Nachkriegswunderzeit, alles schien möglich und Träume wurden einfach mal so umgesetzt, der Realitätscheck fiel dann oft schmerzhaft aus, wie hier. Die Qualität und Innovationshöhe der Rectaflex ragt allerdings aus den vielen Startup-Kameras weit heraus und hätte sicher jedem größeren Kamerahersteller als Flagschiff gut zu Gesicht gestanden. So bleibt sie aber Kameraeinzelkind, die jetzt ihren verdienten Platz neben der Kine Exakta und der Contax F in meiner Vitrine findet.

Datenblatt Erste KB-Spiegelreflex mit Pentaprisma 
Objektiv Wechselobjektive mit Rectaflex-Bajonett, hier mit Schneider Xenon 50 mm f/2. Andere Objektive von Angenieux, Bertiot, Zeiss, …
Verschluss Horizontaler Tuchschlitzverschluss, B-1-2-5-10-25-50-100-200-600-1300 1/s. Frühe Versionen der Kamera: ...-100-200-500-1000. Modell Junior nur mit Kurzzeitwerk B-25-50-100-200-500.
Fokussierung Manuell per Schneckengang und Verschiebung des ganzen Objektivs. Fokussierhilfe siehe Sucher...
Sucher Spiegelreflex mit Mattscheibe und Pentaprisma, extra Mischbildentfernungsmesser im Bildzentrum. Rückschwingspiegel (mit Auslöser gekoppelt).
Blitz Zwei Anschlussbuchsen an der Kameravorderseite, einstellbare Verzögerung
Filmtransport Mit Drehknopf auf der rechten Kameraoberseite, gleichzeitiges Spannen des Verschlusses. Bildzählwerk (0-35, vorwärts), Rückspulknopf.
sonst. Ausstattung Stativgewinde 3/8'', ISO-Drahtauslösergewinde, Film/Empfindlichkeits-Merkscheibe.
Maße, Gewicht 148 x 90 x 50 / 82 mm, 708 / 982 g (ohne / mit Objektiv).
Baujahr(e) 1948-1955, ca. 11.000 Exemplare. Diese #28253 von 1953
Kaufpreis, Wert heute 135.000 L (1954) bzw. 295 US$ (1950), heute je nach Zustand, Objektiv und Modell, ca. 300 € bis 1500 €
Links Camera-Wiki, Pentax-SLR.com, Bencinistory (Italienisch), Anleitung (Italienisch), Manual (Englisch), ZeissIkonVEB (Contax S vs. Rectaflex), Mike Eckman, Kleinbildkamera.ch